- Publications de la Banque centrale européenne
Funktionen der Europäischen Zentralbank - Yves Mersch
Rede anlässlich des XIV. CHALLENGE-Workshops for Managers an der Hochschule Bremen
Bremen, den 5. November 1999
Der Nachdruck ist unter Angabe der Quelle gestattet.
Inhaltsverzeichnis
- Funktionen der Europäischen Zentralbank
- Geldpolitik
- Währungsreserven
- Zahlungsverkehr
- Bargeldversorgung
- Repräsentation
- Statistik
- Überwachung
- Probleme
- Transparenz
- Prognosen
- Integrationsvertiefung
- Dialog
1. Funktionen der Europäischen Zentralbank
Das zentrale Thema über die Funktionen einer Zentralbank liegt nicht in der Aufführung der verschiedenen Kompetenzbereiche, die mehr oder weniger lang sein mag, sondern vor allem in Falle Europas in der Abklärung von zentraler und dezentraler Vorgehensweise im Erfüllen der verschiedenen Funktionen. Von diesem Blickwinkel her möchte ich auch die Hauptfunktionen einer Zentralbank untersuchen, und zwar vom Standpunkt der Geldpolitik her, vom Standpunkt der Zahlungssysteme, von der Versorgung der Wirtschaft mit Bargeld, von der gesamtwirtschaftlichen statistischen Untersuchung her, sowie vom Blickwinkel der Bankenüberwachung.
In einem zweiten Kapital möchte ich dann einige aktuelle Themen wie Transparenz, Verhalten der Geldpolitik gegenüber anderen Bereichen der Politik, Strukturanpassungen, Sozial-Union und Steuerharmonisierung beleuchten.
1.1. Geldpolitik
Ich stelle in den Raum, daß der organisationnelle und institutionnelle Aufbau des Europäischen Systems der Zentralbanken bekannt ist, im Besonderen das Subsidiaritätsprinzip nach dem die Ausführung der zentralen Politik so weit wie möglich dezentral erfolgen soll. Dies gilt natürlich vor allem für die Geldpolitik der Gemeinschaft die im EZB-Rat festgelegt wird, die Ausführung allerdings dezentral getätigt wird.
Die Strategie der Europäischen Zentralbank mit dem vorrangigen Ziel die Preisstabilität zu gewährleisten wird vom EZB-Rat getroffen, ebenso wie die geldpolitischen Entscheidungen zu Zinsanpassungen und Zinsänderungen. Das gleiche gilt für die Zuteilung von Liquidität, die vom Direkorium vorgenommen wird. Dezentral erfolgt allerdings die Ausführung. Die Tenderverfahren werden von den 11 nationalen Zentralbanken ausgeführt, und die Banken in den 11 Euro-Mitgliedsländern haben ihre Liquiditätsversorgung über die nationale Zentralbank zu bewerkstelligen.
1.2. Währungsreserven
Es sind auch die nationalen Zentralbanken, die deshalb die Mindestreserven der in jedem Land ansässigen Banken berechnen und verwalten. Die nationalen Zentralbanken verwalten auch weiterhin die nationalen Währungsreserven, ob das die zusammengelegten Währungsreserven der EZB oder der Restbetrag der nationalen Reserven sind, wobei zu unterstreichen ist, daß dieser Restbetrag in den meisten Ländern den größeren Betrag darstellt.
Auch die zusammengelegten Währungsreserven, die an die Europäische Zentralbank überführt werden, werden von dieser an die nationalen Zentralbanken zurück überwiesen, zwecks Verwaltung nach einem Muster das gemeinsam festgelegt wurde. Das ganze Zusammenspiel ist eher pragmatisch angeordnet und läuft darauf hinaus, angesammelte Erfahrungen maximal dezentral zu nutzen, und auf zentraler Ebene nur Entscheidungen zu treffen die zum Zwecke der einheitlichen Politik im gesamten Währungsraum notwendig sind.
Die Vorbereitung dieser Entscheidungen wird natürlich auch in den verschiedenen nationalen Zentralbanken getätigt, aber schon auf der Ebene der Vorbereitung tragen Ausschüsse dazu bei, daß die Endentscheidungen wo möglich kontroversfrei im EZB-Rat getroffen werden können. Im Ganzen gibt es 13 solcher Ausschüsse, die wiederum mehr als 70 Unterausschüsse unterhalten, manche davon als gemeinsame Unterausschüsse von 2 Ausschüssen. Die meisten dieser Ausschüsse werden von einem Vertreter der Europäischen Zentralbank präsidiert.
1.3. Zahlungsverkehr
Die dritte Funktion der Europäischen Zentralbank ist die Sicherung eines reibungslosen Funktionierens des Zahlungssystems. Das Hauptinteresse einer Zentralbank gilt den Großbetragsystemen. Die 11 nationalen Großbetragzahlungssysteme wurden in euro-weites Netz eingebunden, TARGET. Ich erinnere, daß Target mit 3 Hauptobjektiven gegründet wurde:
- einen sicheren und verläßlichen Mechanismus für die Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungen anzubieten
- die Effizienz grenzüberschreitender Zahlungen zu erhöhen und
- den Anforderungen der Geldpolitik des Euro-systems zu dienen.
Nach einer Woche schon hatte das System sich auf ungefähr 20-30.000 Transaktionen pro Tag mit einem Volumen zwischen 300 und 400 Milliarden Euro eingependelt. Der grenzüberschreitende Targetverkehr entspricht nach den ersten 9 Monaten 10% sämtlicher Zahlungen, die in Euro-Großbetragzahlungssystemen vorgenommen werden und 27% des Gesamtwertes, woraus sich ergibt, daß besonders die größeren Beträge über Target abgewickelt werden.
Der durchschnittliche Wert von einzelnen Zahlungen war im Juli 1999 fast 12 Millionen Euro, das ist 3-5 mal höher als die Werte für andere Systeme. Daraus kann man schließen, daß Target dem Objektiv der Währungspolitik gerecht wird. 34.000 Banken oder Bankenstellen können über Target erreicht werden, und Messungen haben ergeben, daß eine Zahlung im Durchschnitt in anderthalb bis 6 Minuten abgewickelt werden kann.
Alle 29 EU-Wertpapierabrechnungssysteme wurden für den Einsatz ab dem Beginn der dritten Stufe der WWU für geeignet befunden. Wenn heute im Großbetragzahlungssystem in Europa täglich über 1.000 Milliarden Euro abgewickelt werden, sind davon ein Drittel grenzüberschreitend. Deshalb ist es besonders wichtig die Verbindungen zwischen der grenzüberschreitenden Nutzung von refinanzierungsfähigen Sicherheiten für die geldpolitischen Geschäfte und die Intertageskreditoperationen des Euro-Systems zu gewährleisten.
Schon heute wird ein Großteil der hinterlegten refinanzierungsfähigen Sicherheiten für die grenzüberschreitenden Zahlungsoperationen benutzt und nicht für geldpolitische Liquiditätsgeschäfte. Zur Unterstützung der grenzüberschreitenden Nutzung von Sicherheiten im Rahmen der geldpolitschen Operationen und Intertageskreditgeschäften des Euro-Systems wurde weiterhin als eine Übergangslösung das Korrespondezzentralbankmodell eingeführt. Im Grunde genommen sollte dieses Modell nur beibehalten werden für nicht marktfähige Sicherheiten, die auf keinem anderen Weg grenzüberschreitend übertragen werden können.
Neben dem Grossbetragszahlungssystem sollte trotzdem noch ein Wort zum Massenzahlungsverkehr gesagt werden. Auf Grund des völligen Wegfallens der Transaktionskosten in bargeldlosen Zahlungen, die die Bewertung zuließe, daß die Konditionen im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr denen des inländischen Zahlungsverkehrs entsprächen, tun sich die Banken zur Zeit noch schwer euroweite Zahlungsverkehrssysteme zu entwickeln, die die gleichen betrieblichen und preislichen Konditionen bieten wie die inländischen.
Im Großen und Ganzen sind Zentralbanken weniger im Massenzahlungsverkehr involviert als im Großbetragszahlungssystem wegen der größeren systemischen Risiken, die in letzteren beinhaltet sind. Die Europäische Zentralbank hat trotzdem ihre Unzufriedenheit über die Entwicklung im Massenzahlungsverkehr Kund getan, besonders über die weiter vorherrschende Abwicklung über Korrespondenzkonten, Nostro- und Vostrokonten, und die Abwesenheit von adäquaten Interbankinfrastrukturen. Die Abwicklung von Zahlungen zwischen Banken muß von der Bankenbranche in Zukunft zu einer Verbesserung der internen Prozedur für grenzüberschreitende Zahlungen führen, zu dem auch die Kommunikation mit dem Kunden gehört. Das beinhaltet ein stärkeres Rückgreifen auf Automation und Standardisation.
Auch wenn eine Zentralbank also nicht vorrangig ihre Mission in diesem Zusammenhang sieht, wird sich das Europäische System der Zentralbanken dem Thema sehr eng widmen, und in Abwesenheit vom notwendigen Handeln einen Eigenhandelsbedarf in diesem Bereich entwickeln.
1.4. Bargeldversorgung
Neben der Abwicklung der Refinanzierungsgeschäfte und dem Halten von Mindestreserven auf der einen Seite, und dem Organisieren des bargeldlosen Zahlungsverkehrs auf der anderen Seite, hat eine moderne Zentralbank auch die Aufgabe der Versorgung der Wirtschaft mit Bargeld. Diese Versorgung wird weiterhin dezentral ausgeführt. Die Rolle der Europäischen Zentralbank beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die Festlegung der einheitlichen Geldscheine in Puncto Sicherheit, Format, Qualität, Aussehen und Ausgabevolumen. Die Produktion und die Ausgabe erfolgen weiterhin über die gestandenen Kanäle der nationalen Zentralbanken.
Die Aufgabe der nationalen Zentralbanken beinhaltet sowohl die Erstellung von Nullserien sowie den Schutz der Euro-Banknoten vor Fälschungen, die Logistik der Euro-Bargeldumstellung im Jahre 2002, und in der Zwischenzeit den ordnungsgemäßen Umtausch nationaler Währungseinheiten zwischen 1999 und 2002.
So bietet seit dem 1. Januar 1999 jede teilnehmende nationale Zentralbank, beziehungsweise ein von ihr bevollmächtigtes Unternehmen, bei zumindest einer Stelle den Umtausch von Banknoten anderer teilnehmender Länder gegenüber Banknoten und Münzen ihrer Landeswährung zum offiziellen Umrechnungskurs an.
1.5. Repräsentation
Eine fünfte Funktion einer Zentralbank entspricht jeder Funktion einer Institution, nämlich das Wahrnehmen nationaler Repräsentation. Auch wenn es mit der Umsetzung der Logik in der Wirklichkeit noch etwas hapert, so werden uns die anderen Länder darauf aufmerksam machen, daß dort wo die Europäische Zentralbank den Euro-Raum vertritt im Grunde genommen kein Platz mehr ist für nationale Zentralbanken, ob das im G-7 oder anderen Gremien der Fall ist. Das hat weitgehend wohl auch mit Persönlichkeiten zu tun.
So erfolgt die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen auf EU-Ebene durch das Direktorium im EU-Rat, in der Euro-11-Gruppe sowie im Europäischen Parlament. Die Europäische Kommission nimmt am EZB-Rat teil, und das Direktorium sowie nationale Zentralbanken nehmen an den Arbeiten des Wirtschafts- und Finanzausschußes teil. In den G-7 und G-10-Gruppen der Minister und Zentralbankpräsidenten nimmt der Präsident der EZB an den Tagungen teil, während bei der BIZ die EZB neben den nationalen Zentralbanken teilnimmt.
Eine Ausnahme bildet hier Luxemburg, dem nach der Trennung von Belgien, der Zugang zur BIZ von diesem Lande bis jetzt verweigert wurde.
Die Aufgaben der nationalen Zentralbanken werden sich in Zukunft mehr darauf ausrichten
- die gemeinsame Geldpolitik im nationalen Raum zu erläutern, insbesondere das Bewußtsein für Preisstabilität zu erhalten respektiv zu fördern,
- internationale Aufgaben zu übernehmen die nicht unter gemeinschaftliche Aufgaben fallen, wie etwa im Bereich der Bankenüberwachung, gewisse IWF-Bereiche, oder andere Missionen die je nach Land der nationalen Zentralbank übertragen wurden.
1.6. Statistik
Ein sechstes Kapitel der Zentralbankfunktionen nimmt die Statistik ein. Neben den bestehenden statistischen Aufgaben der nationalen Zentralbanken muß die EZB die Aufgabe der Zusammenlegung der nationalen Statistiken bewerkstelligen, ebenso wie den Versuch der Harmonisierung der zur einheitlichen Geldpolitik erforderlichen statistischen Erhebungen.
1.7. Überwachung
Ein letzter Punkt den ich erwähnen will besteht in der Überwachungdes Bankensystems. Wenn auch unbestritten ist, daß jede nationale Zentralbank, so wie selbstverständlicherweise auch die Europäische Zentralbank, eine Rolle in der Bewahrung der Stabilität des Finanzsektors zu erfüllen hat, so ist die Lage eher konfus über die Aufgabenteilung zwischen dem europäischen Raum und dem nationalen Raum, und im nationalen Raum zwischen der Zentralbank und spezifischen Überwachungsinstituten.
Die Lage wird noch komplizierter durch die Entwicklung seit dem Abschluß des Maastricht-Vertrages und unter dem Eindruck der Reformen am Finanzplatz London. Heute gibt es wohl noch einige Zentralbanken, die auch mit der Mission der Überwachung des Finanzsystemes beauftragt sind. In einer Reihe anderer Länder wurden diese Überwachungsfunktionen dagegen von der Zentralbank abgetrennt
Aber auch in den getrennten Systemen sind die Lagen sehr unterschiedlich. Es gibt Länder in denen die Zentralbank de facto die Überwachungsinstitution unterstützt und letztere von den Zentralbankressourcen abhängig ist wie in Deutschland, es gibt solche am anderen Ende, wo die neu gegründete Überwachungskommission jede Zusammenarbeit mit der Zentralbank auf struktureller Weise ablehnt wie im Falle Luxemburgs, und es gibt solche wo die Zusammenarbeit harmonisch vor sich geht, wie im Falle der Europäischen Zentralbank in ihrem Ausschuß für Bankenüberwachung in dem Zentralbanker und Überwacher zusammensitzen.
Wenn auch extreme Situationen wenig Aussicht auf Dauer haben, sieht die europäische Landschaft im Moment relativ zerfahren aus in einem Augenblick wo durch die Einführung der einheitlichen Währung endlich der Einheitsmarkt im Finanzsektor anfängt Wirklichkeit zu werden durch Zusammenführungen von Bankengruppen auf nationaler Ebene, die auch grenzüberschreitende Folgen haben werden. Diese Strukturanpassungen im Markt können nicht ohne Konsequenz auf die Überwachungsfunktionen im europäischen Raum bleiben. Auch wenn das Prinzip der geographischen Nähe im Überwachungsbereich ein überragendes Prinzip bleiben sollte, wird es Fälle geben wo die geographische Nähe trotz aller zwischenstaatlicher Zusammenarbeitsverpflichtungen nicht zufriedenstellend auf nationaler Ebene gelöst werden kann. Ob in diesen Fällen die Überwachungspflicht einer der Exekutive unterliegenden Kommissionsstelle oder der Zentralbank unterliegen soll, möchte ich in diesem Augenblick unbeantwortet lassen.
Die Verschiedenheit der nationalen Situationen wird wohl in diesem Falle wiederum dazu führen, daß ein Fortschritt auf europäischer Ebene nur als Nachfolge einer gravierenden Krise erfolgen wird. Im Falle von "emergency liquidity assistance" sind auf jeden Fall die Zentralbanken angesprochen, ob auf nationaler oder im schwierigeren Falle auf grenzüberschreitender Ebene.
2. Probleme
Wenn auch die Überwachungsproblematik sich eignet als Übergang von den Funktionen einer Zentralbank zu den Problemen, die sich den Zentralbanken heute und morgen in Europa stellen werden, möchte ich trotzdem die Aufmerksamkeit auf eine Reihe zusätzlicher Probleme lenken.
2.1. Transparenz
Zum Ersten möchte ich auf die Problematik der Transparenz eingehen. Es gibt wohl kaum eine andere Zentralbank, die so viel zur Kommunikation beiträgt wie die Europäische Zentralbank mit ihren regelmäßigen Bulletins, den Pressekonferenzen, den Teilnahmen von Direktoriumsmitgliedern an Sitzungen des Europäischen Parlaments, dem Erscheinen von nationalen Zentralbankpräsidenten im nationalen Parlament, sowie die zahlreichen Ausführungen und Reden in der Öffentlichkeit von sämtlichen Mitglieder des EZB-Rates und ihren Stellvertretern.
Unter dem angelsächsischen Einfluß wird allerdings immer wieder die Forderung nach der Veröffentlichung vom Abstimmungsverhalten im EZB-Rat deutlich, sehr kürzlich wiederum im Europäischen Parlament. Ich habe Schwierigkeiten zu glauben, daß die Stimmen die eine Offenlegung von Abstimmungsergebnissen im EZB-Rat fordern, nicht die gleichen sind, die eine Renationalisierung der Politiken in Europa Vorschub leisten möchten. Mir scheint es offenkundig, daß Zentralbankgouverneure, die ihr Stimmverhalten im EZB-Rat der Öffentlichkeit darlegen müssen, vor dem Hintergrund kritischer Stimmen im Heimatland sich eher an nationalen als an gesamteuropäischen Erwägungen ausrichten.
Eine nationale Differenzierung der Geldpolitik wäre allerdings nicht nur das Ende des EZB-Rates als kollegiales Gremium, das ausnahmslos der Preisstabilität im gesamten Euro-Währungsgebiet verpflichtet ist, sondern auch ganz einfach das Ende der Unabhängigkeit des ESZB sowie das Ende einer einheitlichen Geldmarktpolitik.
2.2. Prognosen
Eine andere Frage im Zusammenhang mit der Transparenz ist die Veröffentlichung von Zukunftsprognosen wie sie auch im angelsächsischen Raume üblich sind. Auch dies entspricht der Reduzierung der Geldpolitik auf eine einzelne Ziffer was mit der Komplexität der Geldpolitik unvereinbar ist.
Die verschiedenen Informationselemente, die einer Zentralbank bekannt sind, sind das Resultat eines Informationsaufbereitungsprozesses, der sich nicht in einer einzigen Zahl darlegen läßt, ob diese Zahl der Beobachtung oder der Erwartung entspricht. In der Endabrechnung sind politische Entscheidungen, egal in welchem Bereich, das Resultat einer komplexen Bewertung von rohen Fakten, theoretischen Überlegungen, empirischen Resultaten (dazu gehören auch verschiedene ökonometrische Vorausschätzungen), und von Bewertungseingebungen, die von persönlichen Einschätzungen der Realität herstammen.
Wenn wir jetzt über die öffentliche Kommunikation reden, glaube ich, daß der beste, wenn auch vielleicht imperfekteste Weg ist, diesen komplizierten Entscheidungsprozess durch die Information über alle zur Verfügung stehende Indikatoren zu erklären und dazu gehören auch ökonometrische Modelle, aber auch nun eben Erklärungen, Argumente und Ziffern. So lange es keine Zunft der einarmigen Wirtschaftsexperten werden gibt, wird es auch keine einarmigen Zentralbanker geben in Anspielung auf die Aussage des amerikanischen Präsidenten Harry Truman, der nur einarmige Wirtschaftswissenschaftler anheuern wollte, um zu verhindern, daß ihm dauernd entgegen gehalten wurde, "auf der einen Hand und auf der anderen Hand".
Auch die Veröffentlichung von Schätzungen wird immer nur ein übervereinfachtes und notwendigerweise unkomplettes Resümee bleiben von quantitativen Analysen und persönlichen Einschätzungen, das die Bewertungen für zukünftige Preisstabilitätsentwicklungen in einer Zentralbank ausmachen wird. Die Diskussion über diese Einschätzung kann man schon heute im monatlichen Bulletin vorfinden. Der Glaube an eine erhöhte Transparenz über die Veröffentlichung von zukünftigen Einschätzungen der Preisentwicklungen könnte demnach ein Schuß nach hinten sein, was die Kredibilität des Euro-Systems anbelangt.
2.3. Integrationsvertiefung
Die größte Herausforderung der europäischen Geldpolitik besteht meiner Meinung nach im Verhältnis zu anderen Teilen der Politik. Das betrifft vor allem das Verhältnis zentraler Geldpolitik zu dezentraler Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine gewisse realwirtschaftliche Diskonvergenz und die weitere Arbeit an der europäischen Integration. Die Parallelität zwischen der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion und der Politischen Union ist leider ins Schlittern geraten, und die Fortschritte in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in der Innen- und Rechtspolitik haben leider keinen Schritt mit der Geld- und Währungspolitik gehalten.
Die Wirtschafts- und Währungspolitik wird auf Dauer keinen Bestand haben wenn die größeren Länder wieder in Richtung von mehr Nationalismus marschieren werden. Das Wirtschaftsmodell Europa der Solidargemeinschaft im Währungsbereich kann nicht durch ein politisches Modell der Allianzen der Großmächte nach mittelalterlichem Szenario ergänzt werden. Das politische Europa war bis jetzt ein Modell, das kleineren Staaten ein überdurchschnittliches Mitspracherecht eingeräumt hat. Dieses Modell kann sich nur durchsetzen, 1. wenn diese Kleinstaaten diese relative Übergewichtung nicht mißbrauchen, sondern diese Stellung konsequent zum Brückenbau zwischen Großmächten benutzen, und 2. wenn der nationale Konsens in den größeren Ländern nicht in Richtung nationale Vormachtstellung in Europa ausgebaut wird.
Ist nach Jugoslawien nationales Machtdenken nicht abgeschreckt worden? Fördert gar die europäische Integration nationalistisches und sozialistisches Denken? Die Entwicklung ist umso aufmerksamer zu verfolgen, wie die Realisierung der Wechselkurse die schwächeren Teile einer nationalen Gesamtwirtschaft bloßlegt, und den Konkurrenzdruck gleich der Globalisierung zunehmen läßt. Der Wegfall der Wechselkurse durch die Einführung der einheitlichen Währung hat ein Instrument zur Abfederung exogener Schocks und divergierender wirtschaftlicher Entwicklungen hinfällig gemacht, und deshalb die Notwendigkeit erhoben andere Bereiche flexibler zu gestalten.
Wir stoßen hier auch an die Grenzen der Geldpolitik, die notwendige Entscheidungen auf den Feldern der Finanz-, Steuer, Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht ersetzen kann. Im Gegenteil bei Fehlentwicklungen in anderen Politikbereichen, die die Preisstabilität gefährden, muß die Geldpolitik gegensteuern. Im Fiskalbereich ist durch die Einführung des Stabilitätspaktes ein Minimum an Ausrutschern verhindert worden. Allerdings wurde auch in diesem Bereich in voller Logik klargestellt, daß die Eigenverantwortung der Nationalstaaten auf der Ausgaben- und auf der Einnahmenseite voll bestehen bleiben muß.
Jedes Teilnehmerland ist verantwortlich für seine Steuer- und Sozialsysteme, seine Lohnnebenkosten und seine Bildungssysteme. Jedes Land wäre gut beraten realwirtschaftliche Anpassungen nicht so lange aufzuschieben bis es zu einem Konflikt zwischen dem aufgestauten Anpassungsdruck und der nationalen Anpassungskapazität kommt.
Es gibt allerdings immer wieder Vorstöße sich auf scheinbar bequeme Art den notwendigen strukturellen Anpassungen zu entziehen und Vorschläge zur Harmonisierung als Ergänzung des Binnenmarktes und der Währungsunion in diesem Bereich vorzunehmen. Ich bin in diesem Zusammenhang immer wieder amüsiert festzustellen in welche Widersprüche sich manche verwickeln, die sich gegen eine Sozialunion und für eine Steuerunion aussprechen. Vorschläge zur Harmonisierung arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Aktivitäten als Standard im Rahmen einer Sozialunion können ebenso wenig zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen wie vergleichbare unmöglich durchführbare Vorstellungen nationale Steuerfehler auf die europäische Ebene zu übertragen. Vom Ordnungspolitischen her ist der Steuerwettbewerb sowie auch der soziale Wettbewerb ein wichtiges Instrument der nationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Wo ich allerdings Handlungsspielraum für europäische Initiative sehe, sowohl im Steuerbereich wie auch im sozialen Bereich, sind Mindestnormen festsetzen. Ich verstehe schon, daß man entschieden einem degenerativen Wettlauf nicht nur von Steuersenkungen, sonder auch von Abschaffungen sozialer Errungenschaften entgegentritt, und daß man sich um einen fairen Markt sowohl im Steuerwettbewerb als auch im Sozialwettbewerb bemüht.
In der Steuerdiskussion möchte ich allerdings noch ein weiteres Wort beifügen. Nationale Zentralbanken sind nicht nur besorgt um die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen und die Verhinderung von monetären Finanzierungen von Defiziten. Nein, die Zentralbank hat auch ein Auge auf Kapitalausflüsse. Im Moment sehen wir in Europa Kapitalexporte sowohl durch Direktinvestitionen wie durch Portfolioinvestitionen, und das hauptsächlich auf Grund von niedrigen Anlagemöglichkeiten in Europa, auf Grund von Rigiditäten für Anlagen in der Realwirtschaft. Niedrige Zinsen, akkommodative Währungspolitik, reichliche Liquiditätsvorgabe erklären natürlich einen Teil dieses Verhaltens, aber ein Teil dieser Ausflüsse sind auf die Steuerdiskussion zur Harmonisierung der Kapitalertragssteuer zurückzuführen.
Gespräche über Prinzipieneinigung sind natürlich einfach. Jedermann ist einverstanden. Aber solange durch die angespannte Haushaltssituation in den verschiedenen Ländern jedes Land nur versucht seine eigene Situation nach Europa zu exportieren und keinen Spielraum hat eine europäische Lösung zu akzeptieren, weil sie haushaltspolitisch zu Mindereinnahmen führen könnte, ist natürlich jede Aussicht auf eine Lösung schwierig. Wenn man das dann in eine allgemeine Rhetorik von Steuerharmonisierung einzutauchen versucht ohne auf die verschiedenen Steuerkulturen hinzudeuten, gleitet man gefährlich nahe an Demagogie.
2.4. Dialog
Der Dialog hingegen zwischen den Institutionen insbesondere zwischen der zentralen Geldpolitik und der dezentralen Wirtschaftspolitik sollte weitergetrieben werden. Dieser Dialog muß natürlich klar abgetrennt werden von den Versuchen die beiden Politikbereiche ex ante zu koordinieren, um einen sogenannten "policy mix" zu erreichen, der die grundsätzlichen Verantwortungen beider Politikbereiche verwischen würde. Eine solche Verwischung würde die Rechenschaftspflicht mindern, die Transparenz herabsetzen und die Unsicherheit über politische Entscheidungen erhöhen, und daher eine große Gefahr für die Destabilisierung der Wirtschaft darstellen.
Der Informationsaustausch zwischen einer Zentralbank und der Politik beinhaltet erfahrungsgemäß 5 Bereiche:
- Überwachung von nationalen wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen
- Überwachung der internationalen Finanzbedingungen
- gesamtwirtschaftliche Vorausschau
- Definition makroökonomischer Objektive
- Information über Politikänderungen
Auf europäischer Ebene hat sich dieser Austausch seit der WWU beim ECOFIN, der 11-er Eurogruppe sowie im Wirtschafts- und Finanzauschuß eingebürgert.
Auch der makroökonomische Dialog muß klarstellen, daß es sich bei diesem um einen Dialog zwischen Partnern handelt, wovon der eine auf europäischem Niveau Entscheidungsgewalt hat, die andern nur auf nationalem Niveau, während Dritte überhaupt keine Entscheidungsbefugnis haben, sondern nur die Kommunikationsträger von regionalen, respektiv nationalen Sozialpartnern sind.
Schlußfolgernd kann man also sagen, daß das Euro-System seine Anfangsprobe bestanden hat, die Bewährungsprobe allerdings noch aussteht im Hinblick auf die eben genannten Anforderungen ohne jetzt auf die viel größeren Anforderungen einzugehen, die sich im Bereich der Erweiterung der EU stellen würden.